Adele tritt zweimal live in der Mercedes Benz World in Berlin auf. Die Diva begeistert ihre Fans und plaudert über sich selbst. Überlebensgroß zittern geschlossene Lieder mit
angeklebten Wimpern, geschwärzt von einem dickem Amy-Strich, über den
Bühnen-Screen. "Für eine Show werde ich aufgetakelt, bis ich wie eine
Drag Queen aussehe". Zitat der Frau, die gleich zwei Stunden lang die
verschiedensten Stadien der Liebe behandeln wird. Hunderte Handys sind
auf die LED-Wand gerichtet, warten nervös darauf, dass die Schlafende
erwacht. Dann öffnen sich die Augen, die Halle schreit, der entrückte
Schneewittchen-Moment ist vorbei. Hello, it's Adele! Die Sängerin
schwebt majestätisch auf einem Podest in die Arena. Der Superstar hebt
die Arme, winkt in die Halle. Natürlich ist sie keine Drag Queen,
sondern eine graziös-dralle, vollständig von schwarzem Glitterstoff
verhüllte Venus. "Hello from the other side", singt
Adele Laurie Blue Adkins. Und leider eröffnet sich schon jetzt, was den
ganzen Abend lang beklagenswert sein wird. Der Sound in der Benz-Arena
ist schlecht, klingt blechern, rumpelt und dröhnt. Der Bass ist um ein
Vielfaches zu laut , – immerhin – Adeles Stimme klingt gut. Sie steigt
vom Podest, geht begleitet von zwei Bodyguards durch die ersten Reihen.
Sie schüttelt ein paar Hände und steigt auf die Bühne. Ihre Bühne. Eigentlich
hätte der heutige Abend gar nicht stattfinden sollen, wegen chronischen
Lampenfiebers und akuter Arena-Allergie. Aber wer als heißester Stern
am Divenhimmel gilt, muss am Ende doch vor 17.000 Menschen auftreten
können. Adele ist weder scheu noch märchenhaft entrückt, im Gegenteil.
Sie ist voll da, nur wenige sind so sehr da wie sie. Die Comeback-Single
hat die Sängerin mit Lionel Richie ("Hello, is it me you're looking
for?") zumindest songtechnisch mehr oder weniger freiwillig verbunden.
Einer in der ersten Reihe trägt ein Lionel-Richie-Oberteil. "Gratuliere
zu deinem Shirt", ruft die Sängerin. "Dachtest Du, Lionel würde heute
spielen?" Sie lacht. Keine Diva der Welt hat eine bessere Lache als
Adele. In den vollbesetzten Reihen sitzen Kinder,
Punks, Liebespaare, Mütter, Väter, Hipster, Hippies und Rentner. In
einer Zeit, in der keiner Platten kauft, hat Adele über 60 Millionen
Stück abgesetzt – so ziemlich an jede Zielgruppe. Heute
Abend hier zu sein ist quasi ein Privileg, so absurd, wie der
Ticketkampf um diese Konzerte war. Beide Shows waren innerhalb von
Sekunden restlos ausverkauft. Tickets für Adele-Konzerte in London
wurden für fünfstellige Summen angeboten. Soviel dürfte in Deutschland
keiner bezahlt haben. Aber auch in Berlin sitzen ein paar, die ihre
Karten trotz 444-prozentiger Preissteigerung gekauft haben. Und das für
einen Abend ganz ohne Tanzkolonnen, fliegende Robotervögel und
Pyrokanonen. Es wird keiner auf einer Sänfte in die oder aus der Halle
getragen.
Superstar, Hausfrau und Mutter
Kaum
zu glauben, aber wahr: Es gibt nicht mal einen Kostümwechsel. Adele
bestreitet den ganzen Abend in ein- und demselben Kleid. Warum sind
Menschen bereit, so viel Geld für eine 28-jährige Frau aus London
auszugeben? Vielleicht, weil keine andere die Brücke von der Millionärin
zum Normalo besser schlagen kann als sie. Adele verkauft kein
exzentrisches Spektakel, sondern eine fast schon radikal reduzierte
One-Woman-Show. Ja, sie ist ein millionenschwerer Superstar. Aber Adele
ist auch Hausfrau und Mutter. Tagsüber muss sie Butterbrote schmieren,
Wäsche falten, das Kind zur Ordnung rufen und hat Figurprobleme. Abends
füllt sie eben mal eine Arena oder nimmt einen Oscar entgegen. Ihrer
Bodenständigkeit tut das keinen Abbruch. "Hometown
Glory" singt sie, strahlend. Wirft triumphierend ihren blonden Bob
zurück. Zu "One And Only" lüftet sich der LED-Vorhang und gibt den Blick
auf das mitgebrachte Orchester frei. Adele wiegt sich, streckt die Hand
nach oben. Sie singt, sie fleht. "I dare you to let me be your one and
only. Promise I'm worthy to hold in your arms". "Ihr wisst ja, ich habe
nicht viele fröhliche Songs", untertreibt Adele. Sie hebt ihre Tasse
Honig-Tee vom extra bereitgestellten Tassenständer. Ihr englischer Humor
("Ihr glaubt nicht, wie viele Pinkelpausen ich beim Schreiben von
'Skyfall" einlegen musste") walzt mitten durch die Melancholie. Es gibt
Leute, die ihre Kneipe zur Bühne machen. Adele macht ihre Arena zum Pub. Ja,
es gibt auch Längen. Weil Adeles Musik, abgespalten vom derben
Theken-Charme, etwas Altbackenes hat. Ohne witzige Zwischenmoderation
klingen die Stücke auf "25" zusammengenommen fast, als sei die Frau, die
sie geschrieben hat, in ihren Vierzigern. Man fragt sich, wie ein Album
daherkommen soll, bei dem Adele sich wirklich in ihrer Lebensmitte
befindet. Dass sie eigentlich weitaus mehr kann, als sie heute zeigt,
wissen alle, die die "Carpool-Karaoke"-Episode auf YouTube mit ihr
gesehen haben. Ein Rap, ein Spice-Girls-Cover – für musikalische
Erweiterungen ihres schweren Liebessee-Repertoires wäre noch Luft. Doch
eingelullt in Adeles Kneipendunst kann man sogar eine unendliche Abfolge
an Liebesliedern ertragen. Zum Beispiel "Rumor Has It" und eine
wunderbare, in grünes Licht getauchte Version von "I Miss You". Adele
gibt alles emotional Mögliche. Ist Furie, Verletzte, Stolze und
Vergebende. Kurz vor Schluss die versemmelte
Grammy-Nummer "All I Ask". Der Hallensound stimmt immer noch nicht. Bei
Adele stimmt alles. Dann der Abschied: "Rolling In The Deep", das
stürmische Drama über einen zerbrochenen Lebenstraum, die Abrechnung mit
einer Ex-Liebschaft. "I can't help feeling we could've had it all" –
jeder hier weiß, wovon die Frau spricht. Es fällt schwer, sie gehen zu
lassen. Wer weiß schon, wann sie zurückkommt. Vier Jahre hat sie uns auf
diese Tournee warten lassen. Die nächste Pause ist angekündigt: "Ich
lebe in einer Blase. Und ich brauche Privatsphäre und Ruhe, um Songs
schreiben zu können, mit denen echte Menschen etwas anfangen können",
erklärt sie während der Zugabe. Wie angenehm selbstbestimmt das klingt.
In der Serie "Desperate Housewives" versuchte eine Horde verbitterter
Zicken hysterisch einen Sinn im langweiligen Schickeria-Mütter-Leben zu
finden. Ganz anders Adele. Sie ist nicht verbittert. Sie ist die Göttin
unter den suchenden Hausfrauen.
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